Ich hatte die grosse Ehre, in Itingen die 1. Augustrede zu halten. Hier ist sie zum Nachlesen. Viel Spass!
Geschätzte Anwesende
ich danke Ihnen herzlich, dass Sie so zahlreich zu dieser 1. Augustfeier erschienen sind und mir die Ehre erweisen, heute diese Rede zu halten.
Als Frau Zbinden mich fragte, ob ich diese Rede halten möchte, war ich sehr überrascht. Freudig überrascht, aber zugleich überkam mich eine gewisse Unsicherheit, ob ich anlässlich des 1. Augusts für einige Minuten am Stück etwas Spannendes zu erzählen wüsste. Nach reiflicher Überlegung habe ich schließlich gerne zugesagt, denn das Halten einer 1. Augustrede ist ja so etwas wie Ritterschlag in der Schweiz. Mein langer Weg als Sportler und meine sportlichen Erfolge haben sich somit endlich ausgezahlt. Heute erleben Sie meine Feuertaufe – ich hoffe, Sie bleiben wach. Ansonsten werden sie sicher durch das Feuerwerk geweckt.
In den vergangenen Tagen stellte sich mir die Frage: Über welches Thema sollte ich heute sprechen? Es gibt viele Themen, welche mich derzeit beschäftigen – der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Klimakrise, die Erstarkung nationalistischer Parteien in Europa, die krachende Niederlage von Tadej Pogacar im Kampf ums gelbe Trikot an der Tour de France oder ob ich den Film Barbie oder Oppenheimer zuerst im Kino sehen möchte. Doch an diesem 1. August, einem Feiertag, möchte ich ein anderes Thema aufgreifen. Und zwar der Zusammenhalt und das Verbindende. Dazu gibt es ja in der Schweizer Geschichte einige Beispiele. Diese können Sie bei Interesse gerne auf Wikipedia nachlesen. Ich möchte mich deshalb gar nicht auf diese ausgelatschten Pfade einer Erstaugustrede begeben und das Thema Zusammenhalt rund um den Nationalfeiertag aus meiner persönlichen Optik als Ex-Sportler und Mensch mit einer Behinderung betrachten.
Da ich bei meiner Premiere als Redner auch abliefern möchte, habe ich mir überlegt, was ich als erstes mit dem ersten August verbinde. Das ist der Schweizer Psalm. In meiner Karriere als Sportler wurde die Nationalhymne zwei Mal für mich gespielt. Und es ist schon ein ganz besonderes Gefühl, im Schweizer Trikot zuoberst auf dem Weltcuppodest zu sitzen, die vertraute Melodie zu hören und die Lippen still zu bewegen. Doch obwohl ich alleine auf diesem Treppchen sass, trugen doch ganz viele Menschen zu diesem Erfolg bei. Meine Eltern, das persönliche Umfeld, Trainer, das Nationalteam und so weiter. Genau das ist es, was ich an meinem Sport so geschätzt habe. Dass ich zwar in den Rennen alleine unterwegs war, jetzt mal abgesehen von diesen nervenden Konkurrenten, die stets schneller fahren wollten als ich. Aber als Sportler war ich in ein Team eingebunden. Seien dies unzählige Trainingsstunden und Kilometer mit Trainingskolleg:innen oder Rennen in allen Ecken der Welt mit der Nati. Auch wenn wir nicht dieselben Rennen bestritten haben, so haben wir doch stets zusammengehalten, uns mit Tipps und Tricks versorgt und uns unterstützt. Der Sport hat für mich deshalb eine besondere Magie, eine besondere Kraft. Mir läuft es auch jetzt noch kalt den Rücken runter, wenn ich mich an die guten alten Zeiten zurückerinnere.
Ich fuhr zwischen 2010 und 2021 Handbikerennen auf höchstem Niveau und als Profi. Und obschon ich mich stets in erster Linie als Radsportler, als Gümeler und höchstens in zweiter Linie als Behindertensportler gesehen habe, waren die Rennen, die ich bestritt doch zur überwältigenden Mehrheit Behindertensportanlässe. Ich war in meiner Bubble gefangen, wie man heute so schön sagt. Rückblickend finde ich das sehr schade, auch wenn ich es zu dieser Zeit kaum hinterfragt habe. Doch wie Bob Dylan sang: the times they are a changing. Und das freut mich sehr.
Denn auch hier lässt der Sport wieder seine Kraft aufblitzen. Er nimmt eine Vorreiterrolle in der gesellschaftlichen Integration und Inklusion von Menschen mit Behinderungen ein. Vermehrt werden Wettkämpfe für Para-Sportler:innen ins Wettkampfprogramm von Regelsportanlässen integriert. Im kommenden Jahr findet in Zürich die Rad WM statt und mit Rad WM meine ich eine gemeinsame WM für Para- und Regelsportler:innen. Oder vor knapp zwei Jahren absolvierten die ersten Para-Sportler:innen die Spitzensport RS. Solche Initiativen ermöglichen es Menschen mit Behinderungen, aus der Ecke zu treten, in die sie lange Zeit gesteckt wurden. Sie können beispielsweise zeigen, dass sie Sport auf höchstem Niveau betreiben und dazu einfach ein anderes Sportgerät benötigen. Die Zeiten von «oh wir lassen die Behinderten auch noch ein kleines Rennen fahren» gehören langsam aber sicher endgültig der Vergangenheit an.
Für mich ist es nun aber höchste Zeit, diese Inklusion auch auf allen anderen gesellschaftlichen Ebenen zu leben. Der Sport kann hier ein wichtiger Türöffner zur Inklusion sein und seinen Teil beitragen. Ich freue mich deshalb sehr, dass ich heute gemäss Programm als ehemaliger paralympischer Sportler und Nationalratskandidat zu ihnen sprechen darf und nicht als Behinderter. Weil Menschen mit Behinderungen machen 22% der Schweizer Bevölkerung aus. Viele sind bereits gut integriert, doch viel auch nicht. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir allen die Möglichkeit geben, ihr volles Potenzial zu entfalten und aktiv zur Gestaltung unseres Landes beizutragen. Denn für mich bedeutet ein wirkliches Miteinander, dass wir Menschen aus allen Lebensbereichen in unserer Gesellschaft willkommen heissen.
Ich bin davon überzeugt, dass eine inklusive Gesellschaft nicht nur Menschen mit einer Behinderung zugutekommt, sondern allen. Inklusion macht uns alle stärker und ermöglicht es uns, unsere Ziele gemeinsam zu erreichen.
In diesem Sinne hoffe ich, dass wir alle daran arbeiten, eine inklusive Gesellschaft zu kreieren, in der jeder Mensch die Möglichkeit hat, sein volles Potenzial zu entfalten und seinen Beitrag zu leisten.
Ich danke ihnen herzlich für ihre Aufmerksamkeit und wünsche ihnen noch einen schönen ersten August.